Ernst-Ludwig Barre erhält die für die „Entführung“ von Fritz Hollo ausgehändigte Schärpe von Hauptmann Krusche zurück
Der Kommers bildet stets den Auftakt des Schützenfestes in Lübbecke. Rund 700 Teilnehmer füllten auch in diesem Jahr wieder das große Festzelt, darunter auch Abordnungen der 2. Kompanie und der Bürger-Eskadron des Mindener Bürgerbataillons. Es kommt nicht häufig vor, dass Gäste das Wort ergreifen. Doch in diesem Jahr hatte es eine ganz besondere Bewandtnis, warum Hauptmann und Kompaniechef Volker Krusche, flankiert von Fw und KpFw Thorsten Hunger sowie VOWm Peter Mohrhoff, zum Mikrophon greifen und einige Worte sagen durfte, während Rittmeister und Eskadron-Chef Dieter Thäsler die „Bewachung“ der „Zielperson“ übernahm. „Wir werden etwas zurückführen, was lange genug in unseren Händen lag. Etwas, das wie kaum etwas anderes die Verbindung zwischen den Bataillonen aus Lübbecke und Minden verdeutlicht“, sagte Krusche. Einer Verbindung, die seit vielen, vielen Jahren durch die Bürger-Eskadron gemeinsam mit ihrer Artillerie gelebt und seit 2014 auch durch die Lübbecker Fahnensektion und die 2. Kompanie gepflegt würde.
Geschichtlich hinterlegt, mit einer Portion Humor vorgetragen, erklärte Krusche: „Glauben Sie mir, wir Mindener sind nicht nachtragend, denn das, was vor mittlerweile 34 Jahren beim Freischießen passierte, hätte anderswo durchaus zu ernsten politischen Verwicklungen führen können. Tat es hier aber nicht, weil aus einer ersten flüchtigen Bekanntschaft schnell Freundschaft, aus zunächst empfundenen gegenseitigen Mitmach-Verpflichtungen selbstverständliche und gern getätigte Besuche wurden.“
Besagtes Freischießen war im Jahre 1982 nämlich nicht irgendeins, es war das 300-Jährige, das Jubiläums-Freischießen, das letztlich von einem besonderen Ereignis geprägt und das Mindener Bürgerbataillon quasi führungslos gemacht wurde. Von einem Lübbecker Husarenstück war damals in den Lübbecker Tageszeitungen die Rede. Das dortige Bürgerschützenbataillon habe sich in die geschichtlichen Analen der wehrhaften Kreisstadt Minden eingetragen, hieß es.
Aber was war passiert? Während des Königsschießens hatte keiner ein Auge auf Stadtmajor Fritz Hollo geworfen. Die pfiffigen, aber ebenso lustigen und listigen Gäste aus Lübbecke nutzten diese Chance und brachten ihn ohne großes Aufheben hinter in ihre Stadtmauern. Vorausgegangen war die Einladung an so manch prominenten Gast ins gemütlich eingerichtete Stabsquartier der Lübbecker Bürgerschützen im schmucken Oldtimerbus der Barre-Brauerei. Irgendwann erschien nach Regierungspräsident, Bürgermeister, deutschen und britischen Generälen und anderen hochrangigen Gästen auch der Stadtmajor an jenem Ort, an dem es – so war es durchgedrungen – den besttemperierten Gerstensaft gab.
Es waren Lübbeckes damaliger Bataillons-Kommandeur Karl-Wilhelm Deerberg und der Kommandeur der Artillerie, Ernst Ludwig Barre, deren geübtes Auge registrierte, dass Fritz Hollo ohne Begleitung eines seiner beiden Adjutanten erschienen war. „Da reifte der Beschluss zur Entführung! Der taktisch rasch und befehlsgewohnt reagierenden Truppe soll man schnell ein paar Worte ins Ohr geflüstert haben, so dass die ganze Sache ihren Lauf nahm“, führte Hauptmann Krusche weiter aus. „Wenig später rollte dann schon ein wohlgeordneter Konvoi in Richtung Lübbecke.“ In Minden soll man derweil keinen Verdacht geschöpft haben, schließlich hatte es eine Entführung in den vorangegangenen drei Jahrhunderten noch nicht gegeben. Warum als ausgerechnet jetzt?
In den Lübbecker Zeitungen hieß es dazu am nächsten Tag: „Als der brave Stadtmajor sein Glas nach erfrischendem Trunk niedersetzte, war er bereits hinter der Bannmeile seines Kommandobereichs.“ In dieser Stadt könne man sich wirklich wohl fühlen, soll Fritz Hollo seinerzeit zu Protokoll gegeben und in keinster Weise böse über den unfreiwilligen Aufenthalt in Lübbecke gewirkt haben. In Minden suchte man mit fortgeschrittener Zeit natürlich nach seinem Chef. Die Proklamation der beiden neuen Majestäten stand schließlich auf dem Programm. Zu deren Krönung war Hollo aber wieder rechtzeitig auf dem Festplatz an der Weser.
Volker Krusche hob dann hervor: „Rückblickend hat diese Aktion sicherlich dazu beigetragen, dass wir heute eine wirkliche und intensive Freundschaft zwischen den beiden Bataillonen haben. Die Aktion ist so etwas wie ein Brückenschlag zwischen Lübbecke und Minden gewesen.“ Wenn es schon in vielen anderen Bereichen der beiden Altkreise nicht so wirklich funktioniere, so würden die beiden Bataillone als starke Vorreiter für ein Zusammenwachsen wirken. „Hut ab vor Euch Lübbeckern. Es zeugt wirklich von enormen Selbstvertrauen, gleich beim ersten Besuch in Minden den Stadtmajor zu entführen. Ich denke, wir hätten das nicht gewagt, was aber wohl auch an Eurer immerhin fast zwei Jahrhunderte älteren Kampferfahrung liegt.“
Im Oldtimerbus, der Minden seinerzeit klammheimlich verlassen hatte, saß auch Vera Nolte, bereits verstorbene Ehefrau des ältesten Offiziers der 2. Kompanie, Hauptmann Günter Nolte. Sie war die Einzige, die die Lübbecker Maßnahme schnell durchschaut hatte. „Da sich der Bus aber schon mal in Bewegung gesetzt hatte, konnte sie ja schlecht im langen Kleid mit Stöckelschuhen gemeinsam mit Fritz Hollo während der Fahrt abspringen, um die heimatlichen Gefilde nicht zu verlassen“, erzählte Krusche den 700 gebannt zuhörenden Lübbeckern. Sie wollte für die Entführung allerdings ein Pfand haben – und hatte dafür Ernst Ludwig Barre ausgemacht. Der sei schließlich nicht unwesentlich an der Aktion beteiligt gewesen und folgte der charmanten Aufforderung – man weiß nicht, ob es am schlechten Gewissen oder aber am Stolz ob des gelungenen Schachzugs lag – ohne mit der Wimper zu zucken und übergab ihr seine blau-weiße Schärpe.
Nach vielen, vielen Jahren tauchte diese Schärpe nun wieder auf und geriet in die Hände der 2. Kompanie. Die gab sie nun zurück. Krusche: „Wir sind der Meinung, dass sie nach Lübbecke gehört. Denn wir brauchen kein Pfand von Freunden!“ Man wolle diese Rückgabe auch als Zeichen gegenseitiger Verbundenheit und intensiver Freundschaft verstanden wissen. Und der Chef der „Twooten“ schloss vor der Übergabe, die er gemeinsam mit Rittmeister Dieter Thäsler durchführte, mit den Worten: „Sehr geehrter Herr Barre. Hiermit führen wir zurück, was vor mehr als drei Jahrzehnten den Weg zu uns nach Minden gefunden hat. Schließlich haben Sie uns unseren Stadtmajor seinerzeit ja auch zurückgegeben!“